Gegen die identitäre Geschichtspolitik – am 20. Juli auf die Straße!

Die vermeintlichen Inhalte der IB zu kritisieren ist gar nicht mal so einfach, denn die bleiben sie bei der angekündigten Demonstration mal wieder schuldig. So haben sie im ursprünglichen Aufruf eigentlich nur sehr pathetisch formuliert, „den Linken in die Suppe spucken“ zu wollen und es ihnen mal richtig zu zeigen. Inzwischen haben sie den aber wieder gelöscht und behaupten plötzlich doch einen guten Grund für die Demonstration in Halle gefunden zu haben: Europas Identität. Doch welche Identität soll das sein? Da sie das selber nicht so genau wissen, ist der neue Demo-Aufruf entsprechend dünn. Politische oder geografische Grenzen, die man im Zweifel ja falsifizieren oder auch nur hinterfragen könnte, werden jedenfalls nicht genannt. Stattdessen versuchen sich die IBster*innen in der Kunst der Tautologie: Europa ist Heimat und Heimat ist Europa. Unter dem daraus resultierenden Motto „Europa verteidigen – es bleibt unsere Heimat“ proklamieren sie also erst einmal zwei Sachen. Zum einen beanspruchen sie die Eigentumsrechte an „ihrem Europa“. Zum anderen anderen verteidigen sie es, weil es ihre selbst erklärte Heimat sei. Da sich das IB-Denken immer schön aus sich selbst heraus begründet, verwundert es nicht, dass die danach versuchte Letztbegründung endgültig ins Esoterische abgleitet. Der Eigentumsanspruch der zwanzig halleschen Neonazis auf einen ganzen Kontinent sei auf eine „Generationenkette von vielen hunderten Jahren“ zurückzuführen. Denn die Vorfahren der IB-Schläger*innen hätten Europa eben geschaffen und es dann ganz bürgerlich-rechtlich an ihre Enkel vererbt. Wahrscheinlich damit sie sich gewaltsam gegen Andersdenkende austoben und sich an der „patriotischen Bar“ besaufen können. Wer denkt wie ein Identitärer hat den dahinterstehenden Größenwahn allerdings schon längst für sich angenommen und geht davon aus, dass die europäische Geschichte extra darauf zulief, dass gegenwärtige Faschist*innen jetzt „Völker, Nationen, Grenzen und Kulturen“ fein säuberlich und mit tödlicher Präzision voneinander abgrenzen können. In verschiedenen Texten haben sie dazu schon – durchaus konsequent – erklärt, dass man die sowohl historische als auch natürlich daraus erwachsende Anspruchshaltung eben nicht erklären müsse – alle echten „Patrioten“ würden „Identität – Volk – Kultur“ ohnehin spüren.

Man könnte meinen, dass sich „Identitäre“, die ihre dumme Grundannahme so fanatisch zum heiligen Gral erklären, dann auch keine große Mühe mehr bei der Auswahl ihrer Bezugspunkte machen. Und dieser Eindruck ist absolut richtig. So haben sie bereits in früheren Papieren vor allem mit absurden Vergleichen geglänzt, die bis in die Fantasy-Literatur reichten. Zu dieser Demonstration folgen sie ihrem eigenen Vorbild und bilden die „europäische Identität“ mit verschiedenen Silhouetten von Monumenten ab, die sowohl die „Generationenkette“ darstellen sollen, als auch das zu verteidigende „Eigene“. In ihrem üblichen vor allem an Comic-Verfilmungen geschulten Stil präsentieren sie also ihr Erbe und so stehen plötzlich Stonehenge und das Brandenburger Tor auf einer Ebene und sagen das Gleiche. Ignoriert wird dabei, dass bis heute niemand weiß, was Stonehenge überhaupt bedeuten sollte bzw. was der Zweck des Areals war, aber die gefühlte Archäologie der IB hat es offensichtlich herausbekommen. Das passt zur AfD, die ja auch nicht das „Gefühl“ hat, der Klimawandel könne existieren. Ähnlich niveauvoll bezieht man sich auf die Antike: Neben dem Kolosseum findet sich ein zu Tode stilisierter Tempel, welcher vielleicht ans attische Parthenon erinnern soll. Dabei waren nicht nur das römische Reich, sondern auch die griechischen Stadtstaaten sicher keine politischen System, die sich auf ein „Europa der Vaterländer“ spezialisiert hätten. Tatsächlich kannten sie weder die Vorstellung der „Nation“, noch irgendeine Verbundenheit mit vor-keltischen Steinbauten (Stonehenge). Deshalb haben sie auch grundsätzlich in Richtung Afrika und Asien expandiert und hatten das Mittelmeer als Referenzpunkt. Aber der IB kann man ohnehin nicht erkären, dass „Mare Nostra“ auch die Gebiete einschloss, die im Süden und Osten ums Mittelmeer herum liegen.

Auch interessant ist die weitere Auswahl der Silhouetten. Die von Notre-Dame de Paris war scheinbar zu schwer zu ergoogeln, weshalb man auf die Kirche Sacre-Couer de Montmatre ausgewichen ist. Ob dabei vor allem Faulheit eine Rolle gespielt hat ist nicht unwahrscheinlich, denn in Notre-Dame hat sich mit Dominique Venner immerhin ein selbst ernannter Märtyrer der Bewegung erschossen, um jetzt von den Jungkadern als „letzter Samurai Europas“ gefeiert zu werden. Aber auch Sacre-Couer drückt – freiwillig oder unfreiwillig – aus wie wenig an der Zusammenstellung eines homogenen Europas dran ist, wurde es doch erbaut, um die Niederschlagung der Pariser Kommune mit religiösen Weihen zu versehen. Auch wenn man als „Identitärer“ das Niederschießen von sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen natürlich gut findet, zeigt sie doch eben, dass es kein „gemeinsames Erbe“ Europas gibt, sondern es von Reaktionären nur gerne herbeigeredet wird.

Dass Geschichte in der Form eben reines Wunschdenken ist, beweist auch die Silhouette des Klosters „Le Mont-Saint-Michel“, welches nach jahrhunderterlanger Unterbrechung erst seit 1966 wieder als Kloster genutzt wird. Es wurde aus rein romantisch-nationalen Gründen wieder aufgebaut und zeigt durch seine Zwischennutzung als Gefängnisinsel eher die Konfliktlinien europäischer Gesellschaften auf. Während man die letztgenannten Bauwerke als menschenverachtender, rechtsextremer Fanatiker – und das wird der*die verantwortliche Identitäre wohl sein – vielleicht noch als Bezugspunkt nehmen kann, wird es bei der Silhouette des „Monumentes der Spanier“ durchaus lächerlich bis tragisch. Hierbei handelt es sich um eine Statue, die nicht einmal in Europa zu finden ist. Darüber hinaus erinnert sie gerade an einen Kampf zwischen Europa und Südamerika, wurde sie in Buenos Aires doch zum Gedenken an den Unabhängigkeitskampf gegen die spanische Krone errichtet und steht dort bis heute.

Letztendlich muss man sagen, dass die IB die meisten Motive wohl einfach nur über ein paar Klicks zusammenkopiert haben wird. Dass sie dabei so vorgehen wie die Parodie eines schlechten Reiseführers, der einfach nur Klischess aneinander reiht, sagt aber auch einiges über ihre Ideologie aus. Denn wie der erwähnte Reiseführer versuchen sie die fantasierte europäische Identität als diese wirre Mischung zu evozieren. Sie stellen ein paar Gebäude zusammen, die vielleicht als nationale Symbole gelten und begründen damit die Gefangennahme von Menschen im Dienste ihres „ethno-pluralistischen“ Zwangskollektives. Und sie meinen ihre Klischee-basierte „Generationenkette“ leider bitter ernst, denn für die unbedingte Durchsetzung der „europäischen Identität“ bedrohen, verfolgen und attackieren sie alle, die dabei nicht mitmachen wollen oder können.

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