Die „Sommerakademie“ 2020 und ihr faschistisches Twitter-Umfeld

Vom 18. bis 20. September 2020 fand die sog. Sommerakademie des „Instituts für Staatspolitik“ („IfS“) statt. Unter den dazugehörigen Hashtags fanden sich bei Twitter nicht nur einige Tweets von der „Sezession“, Kositza und den gleichbleibenden Referent:innen, sondern in verstärktem Maße auch Tweets die anscheinend einer bislang wenig präsenten Generation von Akademieteilnehmer:innen zuzurechnen sind. Wir haben dies zum Anlass genommen, diese Tweets und vor allem die darin enthaltenen Symbole und ideologischen Versatzstücke näher zu betrachten. Die Thematik der rechten bis rechtsradikalen Parallelgesellschaft im Internet hat spätestens durch das Attentat von Halle eine neue Brisanz erhalten, die jetzt auch immer öfter durch verschiedene Autor:innen in den Fokus genommen wird.

Insgesamt zeigen sich die Tweets meist sehr zynisch, vermeintlich ironisch und voller Anspielungen sowie stumpfem Sexismus [Bild 1, 2, 3].

Bild 1: „Hat Wieland Kreatin zu Hause oder muss ich eigenes mitnehmen?“

Bild 2: „Eben fertig machen und auf geht’s nach Schnellroda“

Bild 3: „Beim Vortrag heute in Schnellroda habe ich vor lauter Aufregung AA in meine Knickerbocker gemacht. […]“

Bemerkenswert ist, dass nicht selten Kritik z. B. am „IfS“ und Götz Kubitschek geäußert wird [Bild 4, 5, 6, 7, 8] bzw. man über sie Witze macht [Bild 2 oben, 9, 10, 11].

Bild 4: „Habs bisher noch nie dahin geschafft, nur auf die IFS-Konferenz, glaube das goldene Zeitalter ist jetzt aber auch schon vorbei…“

Bild 5: „In einem anderen Deutschland hätte man sowas nicht geduldet“

Bild 6: „Auch ich bin LARPer, weil ich Schnellroda behindert finde.“

Bild 7: „Die Akademie in Schnellroda dient größtenteils der Kontaktknüpfung, die meisten Inhalte der Vorträge sind bekant oder haben keinen praktischen Nutzen.“

Bild 8: „Mal ehrlich was macht man in schnellroda so“

Bild 9: „Will Kubitschek die Sache nach dem Vortrag selber klären“

Bild 10: „Der mit dem Fernglas muß der Kubitschek sein.“

Bild 11: „ganzes Wochenende Zoomer bespaßen, richtig Bock“

Kubitschek und Co. werden eher als „Boomer“ dargestellt – es wird über sie gesprochen, nicht mit ihnen. Roman M. scheint hier eine Art „Mittelsmann“ zu sein, da er einerseits zu den direkten Akteur:innen des „IfS“ gehört und andererseits mit der jungen, digital sozialisierten Community interagiert (auch mit entsprechender Sprache). Wie schon bei den vorherigen „Akademien“ gab es anscheinend wenig Interesse an den Vorträgen, das junge Twitter-Umfeld scheint sich vor allem mit sich selbst zu beschäftigen [Bild 7 oben, Bild 12].

Bild 12: „Alle in Schnellroda einfach nur am Handy“

Dabei ist wichtig zu betonen, dass die meisten der hier behandelten Tweets von Personen stammen, welche laut eigenen Aussagen in Schnellroda an der „Akademie“ teilgenommen haben. Diese Personen sind insgesamt sehr jung, häufiger handelt es sich um männlich gelesene Personen, zumindest dem Profilnamen nach. Entsprechende Beobachtungen vor Ort stützen diesen Eindruck. Im Unterschied zur älteren Generation bzw. zu den Autor:innen/Referent:innen, nutzt diese junge Community eher keine gehobene Sprache und macht keine philosophischen oder pseudo-wissenschaftlichen Avancen. Dass es sich dennoch eindeutig um Faschist:innen handelt, lässt sich leicht an den verwendeten Symbolen, Bildern und Sprachcodes der jeweiligen Profile nachweisen. So wird im vorliegenden Tweet der blaue Verifizierungshaken von Twitter, der als Authentifizierung für Accounts vergeben wird, mit dem „Judenstern“ gleichgesetzt. Der Antisemitismus und die Relativierung des Holocaust ist hier offensichtlich [Bild 13].

Bild 13: Antisemitismus und Relativierung des Holocaust

Des Weiteren  findet sich zweimal das Kürzel „1488“ in den Namen: die „14“ steht für die sog. „fourteen words“, die „88“ ist weithin bekannt. Die Kombination der beiden Zahlen  hat ihren Ursprung in der US-amerikanischen Neonaziszene und wurde von der „Alternative Right“ (Alt-Right) übernommen. Da diese im Internet sehr starken Einfluss auf rechtsradikale Online-Communities weltweit hat, finden sich die entsprechenden Codes und „Traditionen“ auch anderswo (die extrem rechten Zahlencodes gibt es jedoch z.T. schon weitaus länger). Auch die Profil- und Titelbilder stellen die faschistische Weltsicht der Personen offen zur Schau: bpsw. sind der Versuch des „Sturms auf den Reichstag“ durch Corona-Leugner:innen oder die lachenden Angeklagten im Nürnberger Prozess zu sehen. Der Account „Remer Fan“ bezieht sich mit seinem Namen und Profilbild auf Otto Ernst Remer, einen Wehrmachtsoffizier, der die Gruppierung um Stauffenberg bekämpfte. Der eigenen Logik folgend,  kritisierte diese Person Kubitscheks Affinität zu Stauffenberg.

Darüber hinaus fehlt es auch nicht an Memes und Begriffen, die der rechten Online-Szene zugeordnet werden können. So wurde das „Germanen“-Meme verwendet, welches beliebt ist in rechten Kreisen [Bild 14].

Bild 14: ‚Germanen‘-Meme (Schwärzung durch uns)

Bei [Bild 15] wird das „IfS“ als „cuckservative“ bezeichnet, damit sind eigentlich alte Konservative gemeint, die nicht auf Trumps Seite sind, also die dem als Feindbild ausgemachten „Establishment“ angehören. Diese Kritik wurde aber von Roman M. zurückgewiesen, was dessen Mittlerrolle noch einmal unterstreicht.

Bild 15: „Schnellroda? Nimmst du unironisch an diesem neu rechten, cuckservativen Bullshit Veranstaltungen teil? Lol.“

Ein weiterer Begriff ist „gaskrank“ [Bild 3 oben]: abgesehen von dem sowieso sehr merkwürdigen Tweet, könnte sich der Begriff auf „gassed“ beziehen, ein Synonym für „banned“ bzw. „blocked“, könnte aber auch die im 1. Weltkrieg durch Gasangriffe Verletzten meinen, und gleichzeitig eine verharmlosende Anspielung auf die KZ-Gaskammern sein.

Mehrmals wird der Begriff „LARPer“ erwähnt (Live Action Role Play). Dabei handelt es sich eigentlich um einen Ausdruck für eine Mischung aus Rollenspiel und Improvisationstheater, bei dem Spieler:innen ihre Spielfigur selbst in der realen Welt darstellen. Es handelt sich um eine sehr online-affine Community, die sich aber offline trifft, um Fantasy Action nach zuspielen. Einige der rechten Twitterer gehören dieser Community möglicherweise an. Auch „Reconquista Germanica“ ordnet sich selbst der Gamer- und LARP-Szene zu, wohl hauptsächlich um besser in diesen Szenen agitieren zu können. Es ist unklar, wie viele „LARPer“ wirklich beteiligt waren bzw. sind. In den Tweets wird der Begriff möglicherweise noch mit einer anderen, abwertenden Bedeutung genutzt. So kann ein „LARPer“ auch jemand sein, der „nur so tut, als würde er:sie etwas tun“. Eng mit LARP ist die Anime/Manga-Subkultur verbunden. Daher überrascht es wenig, dass mehrere der rechten Profile entsprechende Figuren (Avatare) als Profilbilder aufweisen, u. a. eine Person, die sich offen als Nazi bezeichnet (Accountname Nazi_weeb = „weeb“ ist eine Bezeichnung für Personen, die dieser Subkultur angehören). Diese Szene ist sehr online-affin – ein erneuter Beleg, dass diese Akademiebesucher:innen sehr stark im Internet sozialisiert worden sind und dort auch agitieren, „Digital Natives“ sind sie allemal.

Ansonsten äußern die Twitternden Machogehabe und einer Überbetonung von Fitness und Aussehen [Bild 1 oben, Bild 16] sowie stumpfen Sexismus [Bild 8 oben, Bild 17, 18].

Bild 16: „Wird in Schnellroda Chinohose toleriert oder sollte es ne Anzughose sein?“

Bild 17: Stumpfer Sexismus

Bild 18: „Ja ich bin auf der Akademie in schnellroda“

Dieses falsche Bild von Geschlechterrollen und das dominante Männertum sind klassische Inhalte der „Neuen Rechten“.

Durch diese Personen werden also „IfS“-Inhalte in entsprechende Online-Communities hineingetragen, vermutlich viel besser als es das „IfS“ selbst könnte. Dementsprechend kommentiert Kubitschek die Akademie auf seinem Blog dann mit den Worten: „Die Leute sind sehr jung, sind ganz und gar im Digitalen Zeitalter aufgewachsen, bewegen sich mit einer ungeheuren Selbstsicherheit, Selbstironie und Flexibilität im Netz und haben tatsächlich virtuelle Existenzen, aus denen sie einen nicht geringen Teil ihrer Bedeutung und ihres Selbstwerts ableiten. Dem kann zumindest ich nur zusehen, ohne daß ich noch Zugang fände.“ Die inhaltliche Dimension dieser „virtuellen Existenzen“ wurde hier skizziert. Außerdem geschieht somit eine weitere inhaltliche Verknüpfung mit der „Alt-Right“-Ideologie und -Symbolik. Ob sich die Personen aus diesen Twitter-Kreisen aber nur über das Internet radikalisierten bzw. in welchen offline-Kreisen sie aktiv sind, bleibt anhand der Tweets unklar. Die Anime-Kultur spielt u. a. auf den Imageboards „4chan“ und „8chan“ (jetzt „8kun“) eine große Rolle, dort hielten sich auch die Attentäter von El Paso, Christchurch und Halle auf. Die Gefahr, die von dieser digitalen Agitation und Radikalisierung ausgeht, wurde in den letzten Jahren durch rechtsterroristische Anschläge traurige Realität, zuletzt bei dem Anschlag von Halle.

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